
Während ich diesen Post schreibe, spüre ich eine tiefe Betroffenheit.
Seit beinahe vier Jahrzehnten folge ich Jesus Christus und bemühe mich dabei, diesen Weg so authentisch und ehrlich wie möglich zu gehen.
In den vergangenen Jahrzehnten durfte ich viele christliche Bewegungen, Gemeinschaften und Kirchen kennenlernen, die mir in ihrer Vielfalt und ihrem Engagement ans Herz gewachsen sind. Viele Christen, deren Glaube ebenso tief verankert ist und sich ganz natürlich im Alltag manifestiert, haben meinen Weg begleitet und inspiriert.
Natürlich gab und gibt es auch in meinem Leben die Gruppe persönlicher Glaubensvorbilder, die mich beeindruckt und geprägt haben.
Leider aber stellte sich mehrfach heraus, dass ein mir persönlich oder durch seine Bücher und Vorträge vertrautes Vorbild in Wirklichkeit nicht so aufrichtig und vertrauenswürdig ist, wie er es nach außen zu sein scheint. Manchmal verbarg sich hinter dem Außenbild ein schrecklicher Abgrund, der schließlich irgendwann aufgedeckt und sichtbar wurde. Augenblicklich ist davon viel zu lesen.
Wenn dies jeweils geschieht, schmerzt mich das zutiefst. In solchen Momenten frage ich mich: Wie kann es sein, dass ein Christ ein Doppelleben führt?
Diese Frage offenbart neben meinem Unverständnis auch etwas über mein Glaubensverständnis und Gottesbild:
Ich setze voraus, dass die Entscheidung, Jesus zu folgen, zugleich auch bedeutet, dass ich ihn künftig als Herrn meines Lebens anerkenne und im Alltag versuche, ein Leben zu führen, das möglichst im Einklang mit seinen Worten und Geboten steht.
Mein Gott ist heilig. Ihm zu folgen, bedeutet, dem verehrenden Feuer nah zu sein, als das er in der Bibel beschrieben wird.
Seine Heiligkeit erfüllt mich mit ehrfurchtsvollem Respekt und mit Gottesfurcht, die allerdings nicht mit bloßer Angst zu verwechseln ist. Es geht vielmehr um drei wesentliche Aspekte:
1. Das Geschenk der Gnade ist mir so kostbar, dass ich es niemals missbrauchen möchte.
2. Die unermessliche Vollkommenheit, Größe und Macht Gottes rufen in mir tiefen Respekt und eine ehrfürchtige Bewunderung hervor.
3. Das Bewusstsein, dass jede meiner Handlungen Konsequenzen hat, führt dazu, dass ich Gottes Gebote mit aller Ernsthaftigkeit und Hingabe zu befolgen suche.
Ich bin dabei keineswegs perfekt.
Aber ich habe verstanden, dass die fortschreitende Ähnlichwerdung Jesu, das heißt der Prozess der Heiligung, einen zentralen Bestandteil der christlichen Lehre darstellt, dem ich - wie Hebräer 12,14 schreibt - nachjagen muss.
Zahlreiche unmissverständliche biblische Aussagen bezeugen diesen transformierenden Weg.
Dieses Denken bestärkt mich unter anderem darin, der Sünde konsequent den Gehorsam zu verweigern. Es ist nicht die bloße Furcht vor Gott, die mich dabei leitet, sondern vielmehr die tiefe Hochachtung vor Ihm und der innige Wunsch, Ihm immer näher zu kommen. Zugleich aber kann ich nicht ignorieren, dass Gott immer wieder gezeigt har, dass Er es nicht duldet, wenn mit Seinem heiligen Wesen gespielt wird – weshalb ich auch die unumstößlichen Konsequenzen der Sünde fürchte.
All dies empfinde ich jedoch nicht als bedrückend, sondern tatsächlich als befreiend und lebensstiftend. Mein Gottesbild schenkt mir einen Lebensrahmen, der sich in seiner Beständigkeit als gesund erwiesen hat.
Früher ging ich davon aus, dass allen Christen eine ehrfurchtsvolle Gottesfurcht innewohnt. Doch leider zeigt sich in den letzten Jahren vermehrt, dass dies offenbar nicht der Fall ist. Die Berichte über anhaltende Missstände im Leben prominenter Christen – deren Auswirkungen teils katastrophal sind – erschüttern mich zutiefst. Es ist schockierend und verstörend, wenn ein geistlicher Hirte sich plötzlich als Wolf entpuppt, wie es jüngst bei einigen der bekanntesten christlichen Persönlichkeiten in den USA geschehen ist.
Wie können solche Menschen überhaupt ein Doppelleben führen?
Neben anderen Faktoren sticht für mich dabei besonders hervor, dass wir als Kirche insgesamt den wahren Wert der Heiligkeit Gottes vernachlässigt und den gebotenen Respekt vor Ihm verloren haben. In den letzten Jahrzehnten wurde Gott von uns häufig auf den „lieben Gott“ reduziert – ein Bild, das einerseits tröstlich erscheint, andererseits jedoch den notwendigen Ehrfurcht und die tiefe Gottesfurcht vermissen lässt, die unserem Leben gesunde Grenzen setzt.
Zwar mag es in einigen der bekannten Fälle auch seelische Defizite geben, doch diese als alleinige Erklärung für Missbrauch, Betrug oder moralisches Versagen heranzuziehen, greift zu kurz. Das wäre so, als würde in einer säkularen Rechtsprechung künftig jeder Täter pauschal in psychiatrische Behandlung geschickt, weil man seelische Schwächen als alleinigen Grund für seine Straftaten heranzieht.
Zur Ausbildung zukünftiger Leiter in der Gemeinde Jesu gehört für mich eine intensive Vermittlung der Heiligkeit Gottes. Die heutigen Verkündiger wiederum sollten sich intensiv mit diesem Thema auseinandersetzen und es unmissverständlich an ihre Gemeinden herantragen. Ich bin überzeugt, dass die Kirche durch ein solches vertiefendes Verständnis von Gottes Heiligkeit eine positive und nachhaltige Veränderung erfahren könnte.
Wo das Verständnis der Heiligkeit Gottes fehlt, mangelt es an wahrer Gottesfurcht – und genau dort findet die Sünde einen fruchtbaren Nährboden für ihr zerstörerisches Wirken.
Ich wünsche dir in der kommenden Woche eine Begegnung mit der erstaunlichen Schönheit der Heiligkeit Gottes.
Alles Liebe. Rainer
PS: Gerne empfehle ich zum Thema Heiligkeit mein Buch „Majestät: Eintauchen in die faszinierende Heiligkeit Gottes“, erhältlich unter rainerharter.com
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