2. Januar 2023
Als ich noch jung war, empfand ich die Zeitstrecke eines Jahres als eine sehr lang. Ich hörte zwar ältere Menschen sagen, dass in fortgeschrittenem Alter die Zeit immer schneller zu vergehen scheint, aber diese Wahrnehmung konnte ich noch nicht teilen.
Mittlerweile geht es mir ebenso: „Tempus fugit“ - die Zeit scheint zu fliegen.
Ein Jahr ähnelt der Achterbahnfahrt, die ich vor kurzem in einem Freizeitpark mitgemacht habe: Ich stieg ein, der Haltebügel senkte sich, ein Countdown begann und dann katapultierte mich die Bahn mit ungeheurer Kraft und Geschwindigkeit aus dem Stand heraus auf den ersten, steilen Anstieg zu, an dessen Ende ein schwindelerregender Abgrund auf mich wartete. Danach ging es rasend schnell durch Kurven, bergauf und wieder herunter - in mir spürte ich eine Mischung aus adrenalingeschwängerter Begeisterung und Stress.
Beim Aussteigen war ich aufgedreht wie nach einer Überdosis Zucker - und wollte nochmals fahren!
Wenn ich zurück auf 2022 schaue, dann sehe ich ganz unterschiedliche Wegstrecken: Ich sehe wilde, berauschende und beglückende Abschnitte, die mir Gefühle der Stärke, Freude und der Bestätigung meines Glaubens geschenkt haben.
Ich blicke aber auch auf dunkle Täler, die nicht enden wollten und in denen alle Kraft zu Ende schien. Zum Glück erlebte ich dann, dass mein Glaube in diesen Tälern nicht verschwand, sondern sich als (durch-)tragfähig erwiesen hat.
Jetzt liegt ein wieder neues Jahr vor uns. Manche gehen mit großem Schwung hinein, andere sind vielleicht gerade eher in einer Art Überlebensmodus oder hangeln sich von Wochenende zu Wochenende. Wieder andere haben in 2022 alles für Gott gegeben, aber die erhofften Ergebnisse sind nicht oder nicht in der Form eingetreten, wie sie von ihnen erhofft wurden und nun sind sie etwas glaubensmüde geworden.
Glaube ist immer einerseits fassbar und andererseits ein Mysterium. Er ist etwas Lebendiges und lässt sich deshalb nicht in mechanische Funktionen packen, die sich losgelöst von einer Gott suchenden und sich ihm hingebenden geprägten Beziehung auf magische Weise anwenden lassen. Glaube braucht Nähe mehr als Wissen. Glaube ist stärker als die vielen Fragezeichen, die es in unserem Leben als Christen durchaus gibt. Glaube ist kein Ticket in einen ewig währenden Sommerurlaub. Glaube bedeutet ein Wagnis.
Glauben bedeutet, mit dem größten Geheimnis - Gott - durch Jesus in Beziehung zu treten und darauf zu vertrauen, dass dieses unfassbare, unkontrollierbare und unbeschreibliche Wesen gut ist und es gut mit uns meint. Glauben bedeutet, über das eigene Verstehen hinaus zu vertrauen.
Ich verstehe so manches nicht - und befinde mich damit in guter Gesellschaft. So haben beispielsweise selbst die Jünger Jesu ihn immer wieder falsch oder gar nicht verstanden, obwohl sie ihn sehen und beobachten konnten. Eine Begebenheit erzählt davon, wie Jesus - wieder einmal - Worte aussprach, die ungeheuerlich klangen und für die vielen Zuhörer nicht zu verstehen waren.
Diese reagierten teilweise empört darauf:
Als sie das hörten, sagten viele, die sich Jesus angeschlossen hatten: »Was er da redet, geht zu weit! So etwas kann man nicht mit anhören!« Joh.6,60.
Viele wandten sich ab und verliessen ihn.
Dann stellte Jesus den zwölf engsten seiner Jünger eine Frage, die ich an den Anfang dieses Jahres stellen und dich ermutigen möchte, darüber nachzudenken:
»Und ihr, was habt ihr vor? Wollt ihr mich auch verlassen?«
Vermutlich hat keiner von uns vor, im neuen Jahr den Glauben an den Nagel zu hängen. Aber vielleicht hast du die Tendenz, aufgrund von Erfahrungen, die du in 2022 gemacht hast, innerlich etwas auf Distanz zu gehen und äußerlich weniger zu wagen. Das wäre eine ganz menschliche Reaktion. Ich bete für dich, dass du dich trotzdem anders entscheidest.
Wir sind alle mehr oder weniger humpelnd auf dem Weg mit Gott und in die ewige Gemeinschaft mit ihm. Damit bist du nicht allein. Bleib nicht stehen. Werde nicht zu einem Beobachter, sondern zu einem Menschen, der die Nähe Jesu noch mehr sucht als Glaubensergebnisse. Der Weg mit ihm lohnt sich und das Ziel ist real.
Am Anfang des neuen Jahres lade ich dich ein, zu Jesus zu sagen: „Ich werde nicht weggehen. Ich stelle Vertrauen über Verstehen und Nähe über Erwartung."
Hab ein gutes neues Jahr. Lass dich ein auf die Achterbahnfahrt, die vor dir liegt. Genieße die berauschenden Momente und vertraue darauf, dass selbst auf den beängstigten Wegstrecken Jesus neben dir sitzt.
Alles Liebe. Rainer
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