Gestern musste ich an eine Begebenheit denken, die zwar schon viele Jahre zurückliegt, die ich aber nie vergessen habe.
Es war eine Zeit, in der es mir überhaupt nicht gut ging. Ich kämpfte mit Hoffnungslosigkeit und fühlte mich niedergeschlagen. Alles war mir zu viel, und meine Kraft schien völlig erschöpft.
In solchen Lebensphasen denkt man unweigerlich an das „dunkle Tal“, von dem der biblische David in Psalm 23 spricht. Für mich fühlte es sich wie eine Wanderung durch tiefste Nacht an – ohne Mondlicht und ohne das Gefühl, auch nur einen Schritt vorwärtszukommen.
Eines Sonntagabends im Herbst klingelte es plötzlich an unserer Haustür. Meine erste Reaktion war ein innerliches Aufstöhnen. Angesichts der bevorstehenden Arbeitswoche fühlte ich mich damals an Sonntagen besonders kraftlos. Meine Frau öffnete die Tür, und ich hörte die Stimme eines guten Freundes. Ich hatte überhaupt nicht mit seinem Besuch gerechnet und wusste nicht, was ihn zu uns führte.
Eigentlich wollte ich nur alleine sein. Die Vorstellung, ein Gespräch führen zu müssen, raubte mir den letzten Funken Ruhe dieses Sonntagabends. Dass es sich dabei um einen engen Freund handelte, änderte daran nichts.
Mit einem Lächeln betrat mein Freund unser Wohnzimmer. Seine ersten Worte waren:
„Ich habe heute meine geistliche Geheimwaffe mitgebracht.“
Mir war nicht nach Scherzen zumute. Innerlich dachte ich wohl eher: Lass mich einfach in Ruhe. Dankbarkeit empfand ich in diesem Moment nicht.
Dann zeigte er auf ein in Papier eingewickeltes Etwas und grinste. Als er das Papier entfernte, erkannte ich, was er mitgebracht hatte: zwei Becher mit Eiskugeln. Wo er die zu dieser Jahreszeit aufgetrieben hatte, weiß ich nicht, aber die Botschaft verstand ich:
Manchmal sind es „geistliche Geheimwaffen“, die zum Einsatz kommen müssen, wenn Worte nicht mehr helfen und die Kraft für Gebete fehlt.
Wir saßen damals schweigend nebeneinander und aßen unser Eis – an einem dunklen Sonntagabend im Herbst.
Diese Geste habe ich nie vergessen. Sie ist für mich zu einem Vorbild geworden, wenn es darum geht, Menschen in schweren Lebenssituationen beizustehen. Es gab immer wieder Momente, in denen ich selbst eine „geistliche Geheimwaffe“ gezückt habe – oft Dinge, die man landläufig niemals so bezeichnen würde. Doch jedes Mal habe ich erlebt, wie diese kleinen Gesten die Herzen der Menschen berührten.
Ich möchte dich ermutigen, in der kommenden Woche einem leidenden Menschen eine Begegnung zu schenken. Es geht dabei nicht in erster Linie um Worte. Es geht darum, dich in den „Staub“ seiner Lebenswüste zu setzen und vielleicht schweigend ein Eis mit ihm zu essen, um ihm zu zeigen, dass er nicht allein ist.
Alles Liebe und eine gute Woche!
Rainer
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