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Das bessere Teil


Ich bin ein aktiver Mensch. Von Kindesbeinen an hatte ich viele Ideen, die ich gerne umsetzen wollte, und das ist bis heute so geblieben. Mein ganzes Berufsleben – zuerst drei Jahrzehnte in einem Forschungsinstitut, seit 2011 im Gebetshaus Freiburg – ist geprägt von Pionierschritten und Neuentwicklungen. In meinem Kopf spielt sich ein beständiges Feuerwerk ab, oft laut und bunt.


So bin ich: Meine Ideen drängen danach, sich zu manifestieren.


Vor etwa zehn Jahren entdeckte ich, dass meine Kreativität zwar ein gottgegebenes Geschenk ist, es jedoch neben der extrovertierten, nach außen gerichteten Bewegung auch eine umgekehrte Strömung in mir gibt, der ich ebenfalls Raum geben sollte.


Als ich begann, dieser Spur zu folgen, die mich über die greifbaren, manifesten Ausdrücke meiner Kreativität hinaus in die Stille des bloßen Seins mit Gott zu locken schien, entdeckte ich die Kontemplation.


Als aktiver Mensch ist Stille und Nichtstun eigentlich nicht unbedingt das, was mich reizt. Ich muss mich regelrecht dafür entscheiden. Während nämlich die Kreativität wie von selbst aus mir herausströmt, muss ich nach der Stille graben. Doch das lohnt sich, denn dort stoße ich nämlich auf die Quelle, aus der das Leben entspringt. Diesen Vorgang möchte ich als Kontemplation bezeichnen.


Kontemplation bedeutet so viel wie „Anschauung“ oder „Betrachtung“. Ein eindrucksvolles Beispiel für diesen Vorgang finden wir in Lukas 10, 38-42:


„Es geschah aber, als sie ihres Weges zogen, dass er in ein Dorf kam; und eine Frau mit Namen Marta nahm ihn auf. Und diese hatte eine Schwester, genannt Maria, die sich auch zu den Füßen Jesu niedersetzte und seinem Wort zuhörte. Marta aber war sehr beschäftigt mit vielem Dienen; sie trat aber hinzu und sprach: Herr, kümmert es dich nicht, dass meine Schwester mich allein gelassen hat zu dienen? Sage ihr doch, dass sie mir helfe! Jesus aber antwortete und sprach zu ihr: Marta, Marta! Du bist besorgt und beunruhigt um viele Dinge; eins aber ist nötig. Maria aber hat das gute Teil erwählt, das nicht von ihr genommen werden wird.“


Während Marta ihre Zuneigung zu Jesus durch ihr Tun zum Ausdruck brachte, wählte Maria einen anderen Weg. Sie wollte alles aufnehmen, was Jesus sagte und tat. Sie beobachtete ihn genau. Während also Marta gab, empfing Maria.


Auf den ersten Blick mögen Jesu Worte als ungerecht gegenüber der dienenden Marta erscheinen. Doch beim genaueren Hinschauen wird deutlich, worum es Jesus tatsächlich geht. Es geht nicht um eine Abwertung Martas, sondern darum, dass Jesus ihr etwas schenken möchte, das sie wegen ihrer Betriebsamkeit möglicherweise verpassen könnte.


Mit Marta erinnert Jesus alle „Macher“ daran, dass unser „Tun“ und unser „Sein“ in Balance stehen sollten. Noch wichtiger ist, dass unser Tun sich aus unserem Sein speist und nicht umgekehrt. Maria hat das „gute Teil erwählt“, weil sie sich von Jesus prägen lassen wollte. Dieser Aufruf zur Priorisierung findet sich in vielen biblischen Texten wieder: Was wir tun und sagen, sollte aus der Begegnung mit Jesus fließen.

Diese Lebensführung ist um vieles einfacher, als sich aus eigener Kraft anstrengen zu müssen, um ein „guter Christ“ zu sein.

Was sich im Inneren des Menschen befindet, findet immer seinen Ausdruck, deshalb ist die erfüllende Betrachtung Jesu und die Zeit, die wir mit ihm verbringen, so wichtig. Christus in uns ist die Hoffnung der Herrlichkeit (Kol. 1,27) schrieb Paulus. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass ohne seine Gegenwart in unserem Inneren nur anstrengende Religiosität übrig bleibt.


Auch wenn es dir bisher vielleicht wie Zeitverschwendung vorkommen mag: Nimm dir die Momente des Innehaltens, in denen du Jesus und seine Worte mit den Augen deines Herzens betrachtest. Diese Minuten sind es, die dein Leben und deinen Glauben maßgebend prägen können. Die Kontemplation kann eine gewaltige Hilfe sein. Sie ist kein magisches Mittel und auch keine Neuerfindung; bereits Paulus beschrieb das transformative Geschehen, das sich abspielt, wenn wir das „gute Teil“ erwählen, wie Maria es tat:


„Wir alle aber schauen mit aufgedecktem Angesicht die Herrlichkeit des Herrn an und werden so verwandelt in dasselbe Bild von Herrlichkeit zu Herrlichkeit, wie es vom Herrn, dem Geist, geschieht.“ (2. Kor. 3,18)


Ich wünsche dir für die kommende Woche, dass du immer wieder Momente findest, in denen du deinen Blick auf Jesus richten und ihm einfach zu Füßen sitzen kannst. Ich habe mir die zu einer Gewohnheit gemacht und möchte es nicht mehr missen.


Alles Liebe,

Rainer


 
 
 

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